Towfigh/Keesen/Ulrich, Art. 21 GG, in: Kahl/Waldhoff/Walter (Hrsg.), Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Heidelberg (C.F.Müller)
ab 205. Aktualisierung (Juli 2020)
Vorwort zur 205. Aktualisierung
Die Kommentierung von Art. 21 GG durch Wilhelm Henke in diesem Werk war mitnichten nur ihres monographischen Umfangs wegen als „groß“ zu bezeichnen; sie war auch deshalb eine Großkommentierung, weil sie das Parteienverfassungsrecht grundlegend dogmatisch vermaß und die Wirklichkeit des bundesrepublikanischen Parteienwesens anhand dieser Kartierung reflektierte und bewertete. Nicht ohne Grund wird sie knapp 30 Jahre nach ihrer Veröffentlichung – die wesentlichen Teile reichen in das Jahr 1991 und damit ins Jahr vor Henkes Tod zurück – noch immer rege zitiert. Das sind „große Schuhe“ für jeden, der sich anschickt, diese für die politische Ordnung der Bundesrepublik bedeutsame Verfassungsnorm neu zu kommentieren – und dennoch war eine Neukommentierung notwendig: Das Parteienrecht, das Parteienwesen und allgemeiner die demokratische Ordnung des deutschen Verfassungsstaats haben sich durch vielfältige rechtliche und gesellschaftliche Entwicklungen in den vergangenen drei Jahrzehnten tiefgreifend transformiert. Die verfassungsgerichtliche und höchstrichterliche Rechtsprechung und das rechtswissenschaftliche Schrifttum haben auch in diesem Bereich lebhaft weiter gewirkt; vor allem aber hat der Text des Art. 21 GG zwei Absätze hinzugewonnen.
Die mit dieser Aktualisierung vorgelegte neue Kommentierung trägt diesen Entwicklungen Rechnung. Sie nutzt den Umstand, dass – anders als bei anderen Regelungsgegenständen – das gesamte die politischen Parteien regulierende Verfassungsrecht in einer einzigen Norm Niederschlag gefunden hat (ohne freilich zu negieren, dass sie in einer Wechselbeziehung, teilweise auch in einem Spannungsverhältnis zu anderen Fundamentalnormen der Verfassung steht, wie etwa dem Demokratieprinzip oder Art. 38 GG): Das erlaubt nämlich, eine (hier: funktionale) Parteientheorie zu entfalten, aus der sich eine kohärente Parteien(verfassungs)rechtsdogmatik ableiten lässt. Auf diese Weise lassen sich etwa verfassungsgerichtliche Entscheidungen anhand eines rechtsdogmatischen Maßstabs bewerten und rechtstatsächliche Befunde unter Rückgriff auf ein rechtstheoretisches Instrumentarium verstehen und einordnen.
Nach den orientierenden rechtsvergleichenden und unionsrechtlichen Hinweisen (Teil I) sowie der Darstellung der historischen Bezüge (Teil II) beginnen die Erläuterungen (Teil III) daher mit einem Abschnitt zur Situierung der politischen Parteien im Ideengefüge der Verfassung (A.) und einer politökonomisch informierten Darstellung der funktionalen Wirkmechanismen politischer Parteien (B.) sowie ihrer Wirkbereiche in der politischen Ordnung (C.). Diese theoretischen Überlegungen werden mit der systematischen Stellung des Art. 21 GG (D.) und dem verfassungsrechtlichen Parteienbegriff (E.) abgeglichen und zum Fundament einer verfassungsrechtlichen Parteiendogmatik gegossen. Von diesem theoretisch gesättigten Fundament ausgehend werden die einzelnen Gehalte der Verfassungsnorm in der Reihenfolge ihrer Erwähnung im Normentext aufgearbeitet und in das dogmatische Gebäude eingefügt: Nach Erläuterungen zu den Gewährleistungsgehalten der Einrichtungsgarantie (F.) und der Bestimmungen zur inneren Ordnung der Parteien (G.) wird der im Verfassungstext nur sehr indirekt angesprochenen Parteienfinanzierung ein ausführlicher Abschnitt gewidmet (H.). Sodann werden die durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts im NPD-II-Verfahren angestoßenen und vom verfassungsändernden Gesetzgeber eingeführten Neuerungen beim Umgang mit verfassungsphoben Parteien systematisiert (I.). Ihren Abschluss findet die Kommentierung in den Erläuterungen zur Parteiengesetzgebung und damit am Übergang ins einfache Recht, das sich freilich ebenfalls anhand der vor der theoretischen Folie entwickelten Dogmatik deuten, bewerten und verfassungsrechtlich einhegen lässt.
Emanuel V. Towfigh, Jan Keesen, Jacob Ulrich